Leseprobe zu "Bitcoins, Schwarzgeld und Beschiss"

Das Glöckchen bimmelte. Fred war schon wach, geweckt von einem schabenden Geräusch. Er nahm seinen Druckluftnagler, der neben dem Bett stand, schaltete ihn ein und schlich zum Fenster. Er steckte den Kopf hinaus, sah, wie sich ein Mensch auf der Leiter von unten sehr vorsichtig auf ihn zu bewegte. Fred sah ihn nur von oben, sah eine Mütze auf seinem Kopf, das könnte aber auch eine Maske sein. Er nahm den Druckluftnagler, richtete ihn von oben auf den Menschen und sagte:

„Kuckuck!“

Das ist angeblich ein alter aus dem Französischen stammender Ausruf des Erstaunens. Der Kopf war vor dem Kuckuck vielleicht noch zwei Meter von ihm entfernt. Er schoss ruckartig nach hinten und starrte ihn an. Er hatte wieder eine Skimaske auf.

„Du..du..du,“ stotterte der Mensch, männliche Stimme.

„Das ist ein Druckluftnagler. Er ist auf dich gerichtet. Zieh deine Kanone langsam raus und lass sie fallen, sonst kommt er zum Einsatz. Bleib stehen, wo du bist!“

Der Mann machte keine Anstalten, dieser Bitte nachzukommen und zog sich mit den Armen hoch, wurde rasch schneller auf seinem Weg nach oben. Das war ein großer Fehler. Es knirschte. Freddy überlegte gerade, wohin er ihm den ersten Nagel setzen sollte, denn er würde das auf keinen Fall akzeptieren. Da knirschte es nochmals und er sah, wie der Kopf ruckweise nach unten beschleunigte. Dabei krachte es mehrmals. Es war eine schier unwirkliche Szenerie, beschienen von relativ hellem Mondlicht. Es war ohne Zweifel Mario, dessen Füße schon einige Sprossen durchschlagen haben. Beide Beine waren gestreckt und die Füße prallten für Fred von oben unsichtbar auf immer neue Sprossen auf und durchschlugen sie. Mit den Händen hielt er sich an den Wangen der Leiter und versuchte, so zu bremsen. Das dürfte ihm aber jede Menge Holzsplitter in die Pfoten getrieben und furchtbare Schmerzen verursacht haben. Aber jetzt prallten die Füße offenbar auf eine Sprosse, die hielt. Der Körper hatte noch eine ganz beachtliche Geschwindigkeit drauf und nachdem jetzt von unten Widerstand kam, musste die Energie ja irgendwo hin. Es schleuderte ihm den Oberkörper schräg nach hinten, er konnte sich nicht mehr an den Wangen der Leiter halten, ruderte mit den Händen frei in der Luft und fiel die letzten Meter zu Boden. Freddy gab der Leiter einen Stoß, sie fiel nach hinten um und er hörte von unten noch einen Schmerzensschrei. Hat ihn wohl getroffen. Freddy zog sich hastig ein T-Shirt an und schob seine Füße in ein paar Adiletten, die er schon immer hatte wegschmeißen wollen, schnappte sich den Nagler, wetzte zur Tür und schoss die Treppe runter. Es dauerte einen Augenblick, bis er draußen war. 

Da, wo der Typ hingefallen ist, war niemand. Er war weg. Freddy schaute sich um, der war tatsächlich fort. Er musste also noch in der Lage gewesen sein, sich zu bewegen. Ihm kam eine Idee. Er rannte zu dem Hallentor, schob es ein Stück weit auf, sprang auf einen mitten in der Halle stehenden gasbetriebenen Gabelstapler, schmiss den Motor an und raste aus der Halle raus. Von der Halle zur Straße gab es nur einen gut befestigten Weg. Den hoppelte er mit dem Stapler entlang und erblickte ein paar hundert Meter weiter einen älteren schwarzen VW Golf. Von Mario weit und breit keine Spur. Fred nahm an, dass er sich irgendwo auf dem Weg zwischen der Halle und seinem Auto vermutlich mehr kriechend als gehend fortbewegte und versuchte, die Flucht zu ergreifen. Freddy fiel auf, dass der Golf mit der Schnauze direkt an einem Baum stand. Er manövrierte den Gabelstapler direkt hinter den Golf, so dass das Auto vielleicht vorne noch zehn Zentimeter Luft zum Baum hatte, aber hinten gar keine. Freddy zog den Schlüssel ab, stieg vom Stapler und versteckte sich hinter einem Baum. So, nun wollte er mal sehen, was Mario veranstaltete. Er musste nicht lange warten, nach ein paar Minuten kam Mario über die Wiese angehumpelt. Er hielt seine Pistole in der linken Hand und sah schlimm aus, wie Freddy im Schein des Mondes erkennen konnte. Die Klamotten hingen teilweise in Fetzen an ihm runter, die Brust war frei, das ganze Gesicht und die Brust waren verschmiert und er konnte wirklich kaum laufen. Er hatte sich eine Dachlatte genommen und benutzte die auf der rechten Seite als notdürftige Krücke. So wie es aussah, konnte er das rechte Bein überhaupt nicht belasten. Das schleifte er hinter sich her. Als er näher kam, sah er die Bescherung mit dem Stapler, blieb stehen, schwenkte die Pistole mit der linken Hand in der Gegend herum und rief:

„Komm raus du Sau, sonst erschieße ich dich.“

Die Pistole hat er bei seinem Sturz also nicht verloren, schade. Freddy konnte nicht anders. Er trat mit seinem Druckluftnagler in der Hand hinter dem Baum hervor, stand jetzt ungefähr fünfzehn Meter von Mario entfernt.

„Da müsstest du mich erst mal treffen. Du kannst dich doch kaum noch rühren. Und wieso bezeichnest du mich als Sau? Wer ist hier die Sau?“

Die Szene hatte durchaus etwas von einem Western. Freddy fühlte sich in der besseren Position. Er lachte. Mario wollte mit der rechten Hand nach der Pistole greifen. Mit links schießen war wohl nicht so einfach. Das Problem war nur, dass er dazu die Krücke loslassen musste. Er versuchte, gleichzeitig die Krücke in die linke Hand und die Pistole in die rechte Hand zu manövrieren. Das ging jämmerlich schief und während er noch probierte, seinen Oberkörper auszubalancieren, ging ihm unten die Stabilität durch die behelfsmäßige Krücke verloren, denn die konnte er einen Moment lang am oberen Ende nicht festhalten. Er geriet in eine bedrohliche Schieflage, instinktiv versuchte er noch, das rechte Bein zu belasten, aber das tat wohl sehr weh und gab nach. Der ganze Kerl bekam rasend schnell Schlagseite und es haute ihn um. Dabei schlitterte die Pistole auf dem Feldweg ein Stück von ihm weg. Freddy machte ein paar flinke Schritte auf ihn zu, schnappte sich die Knarre und schaute auf den am Boden Liegenden, der schwer stöhnte.

„Super Aktion“, kommentierte Freddy hämisch. „Du bist wirklich voll der Revolverheld.“

Mario beschimpfte ihn weiter mit einem Haufen Begriffen, von denen Drecksack und Arschloch noch die netteren waren.

„An deiner Stelle wäre ich etwas zurückhaltender. Ich hole dir vielleicht besser mal die Polizei und vielleicht auch einen Krankenwagen. Du müsstest dringend einen Arzt sehen. Du bist doch Mario Engstenfeld?“

„Woher weißt du denn meinen Namen?“, giftete Mario hasserfüllt.

„Das herauszubekommen, war nicht so schwer. Ihr seid ja dermaßen blöd. Mir war von Anfang an klar, dass Barbara dahintersteckt.“

„Kannst du nicht auf die Polizei verzichten?“ 

Jetzt klang er schon zahmer.

„Warum sollte ich das tun? Du weißt ja scheinbar, dass ich noch ein paar Bitcoins habe und die willst du mir auch noch klauen. Du wirst wahrscheinlich genauso weitermachen wie bisher.“

„Nein, ich verspreche es.“

„Versprechen eines Trickbetrügers, wie lange warst du eigentlich im Knast?“

„Mein Gott, woher weißt du das alles?“

„Da staunst du. Zimmerer sind pfiffige Leute. So, was machen wir denn nun mit dir?“

Er schaute nun schon fast mitleidig auf den ramponierten Mario Engstenfeld herunter.

„Viele Trümpfe hast du gerade nicht im Ärmel, oder? Ich meine, wie soll ich einem wie dir ein Versprechen abkaufen? Hältst mir eine Knarre an den Schädel und erpresst mich. Die Information hast du von Barbara. Die hat es vermutlich mit dir und mir gleichzeitig getrieben? Hoffentlich habe ich mir da nichts eingefangen. Dann schickt sie dich noch mal los, um mehr zu holen und diesmal geht’s schief. Nee, du wanderst als Wiederholungstäter diesmal etwas länger in den Knast. Barbara kann dich ja dort besuchen. Vielleicht lernst du was draus.“

Freddy legte eine längere Sprechpause ein. Könnte ja sein, dass dem hilflosen Bündel am Boden noch irgendetwas einfällt.

„Du Sau hast die Sprossen angesägt.“

Freddy lachte schallend. Er konnte sich gar nicht mehr einkriegen. 

„Musste ich gar nicht, du Idiot. Die Sprossen sind morsch gewesen und zwar schon lange. Ich habe meinen Leuten verboten, die Leiter zu benutzen. Dreimal darfst du raten, warum. Nicht alles, was am Boden liegt, ist zur Verwendung bestimmt. Dämlich.“

Fred schüttelte den Kopf. 

„Verkackt alles und wird auch noch frech. Hätte ich dem Herrn vielleicht eine neue Leiter parat legen sollen, damit er in meine Bude einsteigen kann? Weißt du was, ich sehe gar keine Alternative dazu, die Polizei zu holen. Wenn ich dich laufen lasse, dann probierst du es morgen gerade wieder. Was bitteschön sollte dich davon abhalten, mich wieder zu bedrohen?“

„Ich kann es dir versprechen.“

„Versprechungen von dir, vergiss es!“

„Aber du bist neulich nicht zur Polizei gegangen? Also hat Barbara doch recht, du hast irgendwo Dreck am Stecken und kannst deswegen gar nicht zu den Bullen gehen. Vielleicht hast du die Bitcoins mit Schwarzgeld gekauft?“

„Aha, der Herr fängt an zu denken. Nein, das ist nicht so. Ich wollte erst mal herausfinden, wer es gewesen ist.“

Fred sah, dass Mario grinste. Er grinste nicht so richtig von Herzen, er grinste etwas schief, leicht schmerzverzerrt. Fred fragte sich, was es zu grinsen gab.

„Du hast wahrscheinlich recht, du hast keine Alternative dazu, die Bullen zu rufen. Natürlich wirst du mich nicht mehr los. Ich will auch noch den Rest von deinen Bitcoins. Wenn du erst Frau und Kind hast, dann wirst du jeden Tag die Hosen voll haben, dass ich dieses Kind entführen könnte. Oder du zahlst und hältst uns die Bullen vom Hals. Hast du ein Handy dabei?“

Fred schüttelte den Kopf.

„Das habe ich in zwei Minuten geholt und du kriechst in der Zeit auch nicht allzu weit.“

Fred überlegte, wie er an sein Handy käme. Er könnte fünfzig Meter weiter laufen und bei seinen Nachbarn klingeln. Diese Situation hier würde eine nächtliche Störung rechtfertigen. Er könnte auch den Schalldämpfer von der Kanone abbauen und damit ballern, dann kämen sie schon.

„Fred, ich bin bloß nicht so ganz sicher, ob du noch dazu kommst.“

Fred verspürte etwas in seinem Genick. Es haute ihm den Kopf nach vorne, es knirschte irgendwo in seinem Hinterkopf und bei ihm gingen die Lichter aus.

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Axel Ulrich

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