Leseprobe zu "Schoofseggl"

Kneller ist wieder in Stuttgart. Am Morgen ist er in seiner Wohnung aufgewacht, hatte aber keine Ahnung mehr, wie er dahin gekommen ist. 

„Wilfried, du saufsch zu viel“, hat er zu sich selbst gesagt. Sonst ist er eher nicht der Typ, der mit sich redet.

Nach einer Stunde Dauerduschen und vier Bechern Kaffee sowie drei Aspirin geht es wieder. Danach hat er losgelegt. Er durchsucht die ganze Bude auf Spuren seines illegalen Tuns, findet nichts. Aber dennoch ist er zufrieden mit sich. 

„Vorsicht isch die Mutter der Porzellankischte“, murmelt er. 

Dann geht er in den Puff. Den Bentley stellt er hinter der Werkstatt ab. Falls sie kommen, hat er so wenigstens noch das Auto zum Fliehen. Bei der Gelegenheit denkt er, ein unauffälliges Auto wäre jetzt eigentlich besser. Als Erstes erfährt er von Bruno und Dieter, dass sie trotz dreitägiger Observation den Olli nicht gesehen haben.

„Keine Spur von ihm und dann war am zweiten Tag auch dieser Manni weg. Und die Frau.“ 

„Ja, gut.“ 

Ist ihm im Moment egal.

Er beginnt mit seinem Büro. O Gott, der PC. Da ist alles Mögliche drauf. Was soll er damit machen? Wenn die die alte Kiste filzen, ist er so was von geliefert. Er ruft einen PC-Service an. 

„Schickt mir sofort jemanden her. Geld spielt überhaupt keine Rolle. Er soll auch so ein, so ein – wie hoißad, wie heißen diese tragbaren Dinger? Ja, er soll ein Notebook mitbringen. Welches? Das teuerschde. Ja, schön klein. Und er muss mir Daten überspielen. Was? Kein Problem. Dann isch es ja gut. Wann kommt der Mann? In 20 Minuten. Ja, das isch gut. Ja, Kneller. Im Puff. Ja.“ 

Knallt den Hörer auf. Er beginnt, sein Büro zu durchwühlen. Da ist ein vollgestopftes Regal. Dann der Schreibtisch. Voll bis zum Rand. Er googelt Aktenvernichtung.

Er schreit nach seinem Gorilla. 

„Bringet mir Kartons. Ja, große.“ 

Nachdem der Gorilla tatsächlich zwei riesige Kartons herbeigezaubert hat – guter Mann –, beginnt Kneller, das Papier aus dem Regal mit beiden Händen bündelweise hineinzuschaufeln. Mit Details kann er sich nicht aufhalten. Nach einer halben Stunde ist das Regal halb leer. 

Da kommt ein junger Mann mit einem Notebook. Den beauftragt er, die Daten von dem alten PC auf das Notebook zu übertragen. 

„Ja, alles. Programme auch. Isch nicht viel drauf.

‚Word’ und so. Fang an. Aber dalli, dalli.“  So, Kneller wischt sich die Stirn und schaufelt weiter.

Nach einer Stunde ist das Regal leer. Der Vernichter kommt. 

„Schaffet Sie des Zeug weg. Alles fein zerhäckseln. Ich mach hier weiter.“ 

Jetzt geht er an den Schreibtisch. Auch hier kann er nicht jedes einzelne Stück Papier untersuchen. Das meiste landet in dem zweiten Karton. Nach zwei Stunden ist er tatsächlich durch. 

Jetzt sind nur noch die Sachen da, die auch in einen Puff gehören. Die offizielle Buchhaltung und so was. Das ist alles legal. Er sieht sich um. Erkennt sein Büro kaum wieder. 

Als sein Gorilla Nummer zwei erscheint, schaut der sich erschrocken um. 

„Wilfried, kommt die Steuer?“ 

„Wenn du wüsstest, wie recht du hasch“, schleudert er ihm an den Kopf. 

Er macht eine Runde durch den ganzen Puff. Hat er schon ewig nicht mehr gemacht. Geht tatsächlich von Zimmer zu Zimmer, auch da, wo die Nutten im Bett liegen und nicht immer alleine. Er filzt die Schränke. Dann ist das Erdgeschoss dran, anschließend der Keller. Das Gebäude ist nur zum Teil unterkellert. In einem der Räume prüft er, ob man noch Spuren sieht. 

Nach fast vier Stunden ist er fertig. Muss wieder alles selbst machen, die Schoofseggl sind dazu zu blöd. Er geht zur Werkstatt rüber. Auch hier kontrolliert er alles. 

Der Aktenvernichter ist weg. Hat irgendwas von zwei Tonnen Gewicht gefaselt. Kein Wunder, dass er so schwitzt. Der Mann mit dem Notebook ist auch fertig.  „Jetzt bauet Sie mir die Feschtplatte aus dem PC aus.“  Der zieht nur die Brauen hoch. 

„Ja, klar.“ 

Danach nimmt Kneller die Festplatte, geht mit ihr zum Bentley, fährt zum Münstersteg, läuft auf die Brücke und schmeißt die Platte in den Neckar, als gerade nur ganz wenige Leute in der Nähe sind. 

„So, geschafft.“ 

Dann fährt er wieder in den Puff, nimmt das Notebook unter den Arm und geht rüber in die Werkstatt. 

Jetzt setzt er sich an das Notebook und fängt an, den Inhalt aufzuräumen. Der ganze Müll ist ja hier drauf gelandet. Das ist eine derart frustrierende Arbeit. Fluchend hockt er an der Kiste. Erst beginnt er, einzelne Dateien wegzuwerfen. Dann nimmt er ganze Ordner und etwas später schaut er noch nicht mal rein, bevor er sie löscht. Ab und an kontrolliert er den verbrauchten Platz auf der Festplatte. Nach zwei Stunden liegt der Fortschritt bei Null. Da merkt er, dass er den Papierkorb noch leeren muss. Vorher hatte er etwa 200 Gigabyte an Daten drauf. Nachdem der Papierkorb leer ist, sind es nur noch 160. Er ist beeindruckt von seiner Produktivität. 

Für diese Mühe gibt es erscht mal ein Cognacchen. Von dem teuren. Na gut, auf einem Bein und so weiter. Nach dem fünften schlummert er über dem Notebook liegend ein. Drei Stunden später wacht er von einem gewaltigen Druck auf die Blase auf und geht nach deren vollständiger Entleerung fluchend ins Bett.

Die Nacht ist anstrengend. Klar, für so einen Körper

ist das eine Tortur, der Abbau des ganzen Alkohols. Normalerweise bauen ja die Prozesse innerhalb der Zellen vorhandene Schadstoffe ab – also populärwissenschaftlich ausgedrückt. So weit kommen sie bei ihm aber gar nicht, da sie ja fulltime mit dem Alkohol beschäftigt sind. Das nennt man Arbeitsbeschaffung. Ja, und so fühlt er sich, der Kneller, als er aufwacht. Der Schädel tut weh und die Blase ist schon wieder zum Bersten gefüllt. Er setzt sich aufs Klo. Auch der Abfluss ging schon mal besser. ScheißProstata. Ausgerechnet er sitzt. Kneller, der Superhero aller Stehpinkler.

Durch den Nebel fällt ihm wieder ein, was er machen muss. Den PC entmüllen. Spuren vernichten. O Gott, er hat den Papierkorb des PC entleert. Darin waren die ganzen Abrechnungen des letzten Jahres. Deswegen hat die Leerung so viel gebracht. Und er hat gedacht, es sei sein Fleiß gewesen. 

Sein Steuerberater hat immer gesagt, er solle Datensicherungen machen. Datensicherungen? Scheiße.

Es könnte ja sein, dass die Schoofseggl von der

Steuerfahndung heute bei ihm aufkreuzen. Er schaut auf die Uhr. Es ist schon acht. Nein, die kommen früher, wenn sie kommen. Er schlurft zum Puff rüber an den Briefkasten. Holt die Tageszeitung raus und die Post. Schlurft wieder über den Hof zur Werkstatt. Geht rein. 

Er braucht ja einen PC. Er hat noch nie darüber nachgedacht, dass das Teil für ihn unersetzlich geworden ist. Mühe hat er mit dem kleinen Bildschirm des Notebooks. Da siehsch du ja gar nix. Es müsste doch größere als Extra geben. Nachher wird er diese Computerheinis anrufen. Die schlafen ja noch. Vor zehn erreicht man die nie. Fast wie im Puff, denkt er. 

Er macht sich wieder an die Datenvernichtung. Megabyteweise wird das Zeug in die Tonne geschaufelt. Nach drei Stunden geht er in den Puff und holt sich eine große Tasse Kaffee. Dann macht er weiter. Gegen Mittag hat er weitere 40 Gigabyte vernichtet. Von diesem Zeitpunkt an beginnt es ihm zu gefallen. Diese Aufräumerei hat was. Er geht noch mal zum Puff rüber. Diesmal ist seine Körperhaltung schon besser. Gerader. Schultern nach hinten. Er schaut sich sein entmülltes Büro an. Da weht so ein Geist der Klarheit durch. Warum hat er das nicht schon lange gemacht? Also, wieder rüber an den Computer, weiter aufräumen.

Aber zuerst blättert er in einer herumliegenden alten

Tageszeitung. Im Lokalteil springt ihm eine Artikelüberschrift ins Auge: 

Stadtbekannter Bordellbesitzer erpresst Steuerhinterzieher.

Er liest ihn und knurrt nur: 

„Drecksblatt, elendiges.“

Kneller hat sich rasch an die Bedrohung gewöhnt. Er kann schon was ab. Er hat jetzt Ordnung auf seinem PC. Ihm ist klar, dass er mit der Steuerfahndung rechnen muss. Die würden seinen Computer filzen. Können sie ruhig. Können sie? So ganz sicher ist er sich noch nicht.

Das Schöne an diesen Sesselfurzern ist ja, dass sie immer Zeit brauchen. Woher wissen die von der Geldwäsche und vom Schwarzgeld? Olli. Die Antwort ist immer wieder der Olli. Der hat ihn gehackt. Na warte!

Er ist im Moment ziemlich klar im Kopf. Die Hauruck-Aktion gestern ist gut gewesen. Aber es gibt noch viel zu viele Spuren. Er braucht einfach mehr Zeit, um die zu verwischen. Es ist zu riskant, jetzt sofort zu verschwinden. Er muss in Kauf nehmen, dass sie kommen. Dann muss er eben so vorsichtig sein, dass er nicht erwischt wird.

Und er kann immer noch verschwinden und zwar irgendwohin, wo ihn kein Mensch vermutet. Er wird weder in Marokko sein noch in Thailand, denn da könnten sie drauf kommen. Vorhin hat er mit einem Kollegen in Bregenz telefoniert. Er wird nicht hektisch zu einem Flughafen fahren, wo sie ihn vermutlich gleich hops nehmen. Er wird sich auf seinem Boot verkriechen. Wenn sich der erste Rauch verzogen hat, wird er nach Bregenz dampfen und sich dort bei seinem Kollegen einquartieren. Von da aus wird er auf dem Landweg durch Italien in eine noch zu definierende Richtung verduften. 

Außerdem hat er beschlossen, dass er keinem Erpressten, der nicht zahlt, hinterherläuft. Das ist viel zu mühsam. Schon sitzt Darth Vader wieder an seinem Tisch, diesmal aber in der Werkstatt. Er hat das Pensum hochgeschraubt. Danach geht er im Puff in den Kellerraum, wo sie die Russin verpackt haben. Die Tür wird er abschließen und alles noch einmal abwischen. 

Am nächsten Tag steht noch eine Banktour an. Vorher checkt er seine Konten.

Bruno hört einen markerschütternden Schrei aus Knellers Büro. Er rast sofort hin, reißt die Tür auf und sieht Kneller mit weit geöffnetem Mund vor seinem Notebook sitzen. 

„Mei Geld isch weg.“

„Alles, Wilfried?“

„Noi, aber viel.“

Nachdem er sich etwas erholt hat und ein paar Cognac reingekippt hat, macht er doch noch seine Banktour. Er kocht vor Wut.

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