Leseprobe "Herbert und die letzte Atombombe"

Er hat Glück. Sie schnarcht. Kaum ist er im Nachbarzimmer, zieht er sich an und wirft seine paar Sachen in den Rucksack. Schade ist es nur um den Ferrari, den kann er nicht mitnehmen. Armand schleicht sich aus dem Zimmer raus, geht den guten halben Kilometer zu dem Platz, wo das Schlauchboot liegt, krempelt seine Hosenbeine hoch. Bei Tageslicht hat er gesehen, dass hinten am Schlauchboot eine Leine befestigt ist, die am anderen Ende an einem Stein am Strand festgebunden ist. Diese Leine schnappt er sich, löst sie und zieht das Schlauchboot damit so weit zu sich hin, bis das hintere Ende des einen Schlauchs mit den Wellen leicht auf dem Sand aufsetzt. Dann geht er die zwei Meter zum Schlauchboot, wirft seinen Rucksack hinein, steigt rein, holt den Schlüssel aus dem Kasten, steckt ihn ins Schloss, geht nach vorne und macht die Leine zur Boje los. Mit einem Bootshaken stößt er sich ein bisschen vom Land weg, senkt den 80-PS-Außenbordmotor elektrisch ab, so dass die Schraube im Wasser ist und startet den Motor. Alles funktioniert. 

Er haut den Gang rein und fährt mit nur leicht erhöhter Drehzahl so lange, bis er mindestens drei Kilometer vom Hotel weg ist, dann gibt er langsam mehr Gas und dreht später fast voll auf. Er fährt jetzt nach Südwesten, findet auf Anhieb den Weg zwischen zwei Riffs durch. Sein Handy hat er ausgeschaltet, sonst hat er kein elektronisches Gerät dabei. Er will zur Hauptstadt der Insel, Suva. Dort gibt es einen größeren Hafen. Armand glaubt nicht, dass es sinnvoll ist, sich einen Flug zu buchen und über den Flughafen zu fliehen. Da würde sie zuerst suchen. Es sind gut hundert Kilometer bis nach Suva, Armand schätzt, dass er bei dem jetzigen Tempo gut zwei Stunden dafür brauchen wird. Solche RIBs haben einen ziemlich hohen Benzinverbrauch, bei dem Tempo braucht das hier gut einen halben Liter pro Kilometer, das wären fünfzig Liter. Er will das Schlauchboot irgendwo am Strand lassen und vielleicht mit einem Taxi oder per Anhalter den restlichen Weg nach Suva fahren, sich dort vielleicht in einem Hotel einmieten und nach einer Schiffspassage schauen. Nach Hause in Marseille kann er kaum. Da findet sie ihn sofort. Er kann ein paar Sachen holen und mit dem Geld verduften, irgendwohin, wo sie ihn nicht sucht. Das ist schon traurig, man muss fliehen, um die letzte Atommacht der Welt vom Hals zu kriegen. Er schüttelt den Kopf. Aber zwei Millionen sind ein Wort. 

Da fällt ihm was ein. Zuhause ist jetzt später Morgen. Er stoppt das Boot, ruft den Filialleiter der Bank an und sagt ihm, was zu tun ist. Der fragt prompt, woher er denn zum Teufel noch mal diese ganze Kohle habe, aber Armand sagt, er sei ziemlich beschäftigt und würde ihm das später erklären. Er brauche keine Angst wegen Geldwäsche zu haben. Das Geld sei völlig sauber. Zu seiner Beruhigung versichert ihm der Mann, er werde das sofort in die Wege leiten. Er müsste das in der Hauptstelle machen, so viel Cash hätten sie nicht in der Filiale.

Die Luft ist milde, Armand hat ein bisschen Schiss vor Hella, aber er ist froh, dass er den Schritt getan hat, denn ihre Gegenwart ist schlicht nicht zu ertragen. Armand war mal ein halbes Jahr im Knast. Er hat damals unter akutem Geldmangel gelitten und sie haben ihn beim Handel mit Koks erwischt. Es war nicht viel und so hat er nur ein gutes Jahr bekommen. Sie haben ihn nach einem halben Jahr entlassen, weil er besonders nett und zuvorkommend war. Aber der Knast war Gold verglichen mit Hellas Luxusinsel.

Er gibt wieder Gas, schaut oft nach hinten. Er hat sich einen Kurs relativ weit draußen ausgesucht. Er dürfte vier Kilometer von der Küste entfernt sein und er hat keine Positionslichter eingeschaltet. Nach ungefähr einer Stunde kriegt er einen Riesenschrecken. Schräg hinter ihm taucht etwas am Himmel auf. Viel sieht er nicht, denn es ist Neumond. Deswegen türmt er ja genau heute. Aber sie sieht dann auch wenig. Armand nimmt sofort Gas weg und stellt den Motor ab. Er hat aus dem Hotel eine dünne Decke mitgenommen und vorhin ins Meer getaucht. Die wirft er über den Motor. Sollte die abgestrahlte Wärme reduzieren. Das Boot ist dunkelgrau, im Dunkeln schwer zu erkennen. Ihm läuft es kalt den Rücken herunter. Es ist die Gurke, die mit relativ hohem Tempo ziemlich nah an der Küste und ziemlich tief in Richtung Osten vorbei fliegt. Schon ist sie weg. Er atmet auf und denkt nach. Sie wird wohl einen Infrarotsensor haben und wenn sie nah genug ran wäre, könnte sie ihn durch die Wärme des Motors orten. Aber dazu war sie offensichtlich zu weit weg. Es war gut, dass er den Motor sofort ausgemacht hat, als er die Gurke gesehen hat und die Decke drüber geschmissen hat. Wenn sie ihn nicht findet, wird sie wahrscheinlich zurückkommen und diesmal wird sie es weiter draußen versuchen. 

Armand zieht die Decke weg, schmeißt den Motor wieder an und gibt Vollgas in Richtung Küste. Er braucht gut fünf Minuten und setzt das Schlauchboot an einer Stelle auf den Strand, wo dichtes Gebüsch den Blick von oben auf das Boot versperrt. Die Decke kommt wieder drüber. Er schnappt sich seinen Rucksack, und läuft den Strand hoch in ein Wäldchen. Dort wartet er einen Moment und sieht, wie die Gurke etwas weiter draußen zurückkommt, aber wieder an ihm vorbei schießt.

Er muss zugeben, dass sie clever agiert. Sie sucht nicht am Flughafen. Oder sie hat vielleicht zuerst dort gesucht, aber schnell erfasst, dass er es anders probiert. Jetzt läuft er weiter, findet nach ein paar hundert Metern eine Straße, über die er etwas später anhand eines Schildes erfährt, dass sie Queens Road heißt. Sie ist sehr spärlich befahren, aber nach zehn Minuten hat er Glück, ein Flughafen-Transfer-Bus hält an und nimmt ihn mit. Netterweise akzeptiert der Fahrer auch Euros, denn Armand hat nichts anderes dabei. Er ist ein freundlicher junger Mann, der ihm erzählt, er habe Touristen zum Flughafen gebracht und auf andere gewartet, die mit nach Suva zurückwollten, aber nicht gekommen seien. Jetzt freue er sich, dass er auf dem Rückweg auch noch was verdiene. Damit habe er nicht gerechnet. Während der Fahrt linst Armand immer leicht schräg nach oben. Er rechnet immer noch damit, ein zehn Meter langes gonisches Raumschiff zu sehen. Er glaubt noch nicht so ganz an den Erfolg seiner Flucht.

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Axel Ulrich

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