Leseprobe. Die Affäre Franz Walzer

Die Moderatorin leitete ein. 

„Meine Damen und Herren zu Hause, wie Sie wissen, sitzen hier zwei Kontrahenten vor der Kamera. Um es kurz zusammenzufassen, der Herr Walzer hier steht zwar juristisch bestätigt zu Unrecht, aber dennoch sehr nachhaltig im Ruf, mit einigen Freunden vor einer gewissen Zeit de facto die Handelskammern in Deutschland abgeschafft zu haben, und zwar mit dem simplen Trick, die Zahlungen zu verschleppen.“ Walzer nickte nur. 

„Ich habe das zwar nicht getan, aber man sagt es mir nach.“ 

„Dann haben Sie nach einer erregten Fernsehdiskussion mit dem Finanzminister den Satz fallen lassen, die Deutschen könnten dasselbe ja mal mit den Steuern machen, und der Finanzminister sprach selbst von einem Steuerstreik.“ Walzer nickte wieder. 

„Vor einigen Wochen wurden Sie verhaftet, wieder freigelassen und sollten nach Informationen des SPIEGEL wieder verhaftet werden. Sie kamen dieser Aktion aber zuvor, indem Sie sich in die Schweiz abgesetzt haben. Auslöser war eine – wieder nach Informationen des SPIEGEL – intensive Steuerfahndung. Wenn ich Sie recht verstehe, geben Sie auch Steuerhinterziehung zu – aber sprechen Sie doch selbst.“ 

„Also, ich hatte kurz nach meiner Äußerung mit dem Steuerstreik eine heftige Steuerfahndung am Hals. Wie Sie wissen, bin ich Anwalt und ich hatte mit sowas schon öfter für Mandanten zu tun. In der Art habe ich es aber noch nicht erlebt und ich glaube auch nicht an Zufälle. Gegen mich lag nichts vor. Ich gebe zu, ich habe blöderweise früher dreimal ein Geschäft mit einer maroden Firma am Finanzamt vorbei gemacht. Ich habe da etwa dreißigtausend steuerfrei verdient, und das war falsch.“ 

In dem Moment fiel ihm der Finanzminister ins Wort. 

„Da haben Sie eben mal Pech gehabt, dass Sie ganz routinemäßig eine Prüfung bekommen haben.“ Walzer hat die ganze Zeit schon beobachtet, wie der ihn wieder ziemlich böse anfunkelte und sein Innendruck stark anstieg. 

„Das ist völlig normal, dass Leute eine Steuerprüfung bekommen und bei Verdachtsmomenten schauen unsere Leute eben ein wenig genauer hin.“ Hier fuhr Walzer ihm ins Wort

„Das stimmt eben nicht, ich hatte keine Prüfung. Ihre Leute haben mich auf der Straße verhaftet ohne vorherige Prüfung – da kam gleich die Steuerfahndung und Sie sollten doch eigentlich wissen, dass das eine Stufe weiter ist. Ich bin Anwalt und manche Gesetze kenne ich besser als Sie.“ 

Der Finanzminister versuchte, sich zurückzunehmen. Er war schon wieder drauf und dran, die Beherrschung zu verlieren. Dieser Walzer machte ihm nur das Leben schwer – er hatte einen unbändigen Hass auf diesen Typen, der da saß und ihn frech angrinste. Der wollte ihn nur provozieren und er war schließlich Minister. 

Die Moderatorin merkte, dass es schon wieder losging. 

„Jetzt machen wir es mal anders, jeder von Ihnen beiden bekommt genau fünf Minuten Redezeit und kann seinen Standpunkt erläutern, ohne dass der andere auch nur ein Wort sagt. Meine Herren, Sie sind eine sehr explosive Mischung und ich will trotzdem noch mal sagen, dass ich es sehr mutig finde, dass Sie sich beide hier treffen. Also, Herr Walzer, Sie beginnen.“  

Walzer sagte, er brauche keine fünf Minuten. Er wiederholte noch mal seinen Standpunkt, dass er alles zugebe, aber felsenfest davon überzeugt sei, dass die Weisung, bei ihm alles auf den Kopf zu stellen, direkt vom Finanzminister gekommen sei. Walzer wusste mittlerweile genau, dass er den anderen mit Besserwisserei unheimlich gut provozieren konnte. Der konnte es nicht ausstehen, dass ihm jemand sagte, das wisse er besser als er selbst. Er sei bereit, die Strafe dafür zu akzeptieren, er sei jedoch nicht bereit, sich der Willkür des Finanzamts zu beugen, das ihn mit seiner Schätzung auf das Zehnfache des Betrages brächte und ihn erst arm machen und dann auch noch ins Gefängnis stecken wolle. Und außerdem zweifle er am ökonomischen Sachverstand von Lehrern in der Politik, die nur die Wahl hätten, welchem Einflüsterer sie glauben sollten. Damit – so wusste er – brachte der den anderen garantiert auf die Palme, denn der war eigentlich Lehrer.

Jetzt war der Finanzminister dran. Er nahm sich zusammen. Es gäbe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die Steuerbehörden absolut korrekt verhielten, und es sei alles absolut routinemäßig gelaufen. Er wiederholte alles einige Male, um auf seine fünf Minuten zu kommen. 

„Wenn sich jemand so ins Rampenlicht begibt, muss er sich eben nicht wundern, wenn er durchleuchtet wird“, sagte er zum Schluss. 

„Na endlich, das wollte ich doch nur hören, jetzt haben Sie es zugegeben – Sie haben die beauftragt, so lange zu suchen, bis sie was finden“, entgegnete Walzer. 

„Herr Walzer, das sind selbstständig tätige Behörden, die brauchen mich dazu gar nicht.“ 

„Herr Minister, ich bin zufrieden mit Ihrer Aussage, ich habe den Mund zu weit aufgemacht und jetzt habe ich das Problem, dass ich nicht mehr nach Deutschland darf, ohne verhaftet zu werden. Da drohen mir dann einige hunderttausend Geldstrafe und ein paar Jährchen Knast. Ich liege aber lieber mit meiner Frau im Kanton Thurgau im Bett als im deutschen Knast allein auf der harten Pritsche und deshalb warte ich hier, bis alles verjährt ist oder Sie abgelöst sind und die Nachfolgeregierung eine Amnestie für solche Vögel wie mich parat hat.“